Meine letzten Tage in Indien
Hallo liebe Blog-LeserInnen,
seit meinem letzten Eintrag ist nun sehr viel Zeit
vergangen und mittlerweile bin ich auch wieder zurück in Deutschland.
Eigentlich wollte ich aus Indien nochmal schreiben, aber da die Lufthansa meine
Rückreise verzögert hat war die letzte Woche sehr chaotisch und stressig. Deshalb jetzt noch ein Nachtrag zu meiner Zeit auf der Gynäkologie und meinem
erlebnisreichen Wochenende in Aurangabad beim Chefarzt und seiner Familie.
Wie ich euch ja schon geschrieben habe, verbrachte
ich die letzten zwei Wochen auf der gynäkologischen Station und im
Entbindungssaal. Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass ich hier nicht so viel
mitnehmen konnte wie in der Chirurgie. Der Tagesablauf der Ärztin erschien mir
etwas langweilig und eintönig. Die Ultraschall-Untersuchungen werden von einem
Radiologen gemacht und die Kaiserschnitte sowie die gynäkologischen Operationen
führte immer ein anderer Arzt durch, der selber nicht mal Gynäkologe war.
Ihre Arbeit bestand vorwiegend aus der Visite und
den ambulanten Untersuchungen der Schwangeren. Hier musste ich sehr viel
Eigenengagement zeigen um überhaupt etwas zu lernen. So oft es nur möglich war
tastete ich eigenmächtig den Bauch der Schwangeren ab und versuchte die fetalen
Herztöne mit dem Stethoskop zu hören. Vorwiegend ging es bei den ANCs
(antenatal control) um die Bestimmung der Kindslage und den
Schwangerschaftszeitpunkt.
Um nichts zu verpassen, musste ich selber schauen
wann eine Entbindung oder eine Kaiserschnitt durchgeführt wurden und mir so
selber meinen Tagesablauf organisieren. Für die natürliche Entbindung ist
übrigens keine Hebamme zuständig, sondern eine dafür extra ausgebildete
Krankenschwestern. In meine erste Entbindung bin ich eigentlich irgendwie so
reingerutscht. Man hat mich einfach im Kreissaal stehen lassen, weil die Ärztin
paar Unterlagen holen wollte und plötzlich lag da eine Schwangere, die für die
Geburt vorbereitet wurde. Das ging alles so schnell, dass ich es eigentlich
erst realisiert habe als das Kind schon draußen war. Irgendwie hatte ich es mir
spektakulärere vorgestellt! Trotzdem war es etwas Besonderes als der kleine
Zwerg dann da lag. Die Geburt an sich ist in Indien nicht ganz so emotional.
Das Kind wird sofort von der Mutter entfernt, die Lungen werden abgesaugt und
danach kommt es unter eine Wärmelampe. Es ist mehr wie Routine und nicht wie
ein einmaliges Ereignis. Die erste Person, die das Kind im Arm halten darf ist
die Schwiegermutter. Das wirkt alles sehr ruppig und kalt, aber das kann man
auch erst nachvollziehen wenn man diese Kultur hautnah miterlebt und versucht
die Überzeugungen der Menschen mit ihren Taten und Reaktionen in Einklang zu
bringen. Wenn man die Mütter dann auf der Station mit ihren Babys sieht, ist es
alles andere als emotionslos und kalt. Die ganze Familie ist zu Besuch und
freut sich mit der Mutter und dem Neugeborenen.
Vielleicht stellt sich jetzt
der ein oder andere von euch an dieser Stelle die Frage, ob man sich denn über
Mädchen und Jungen gleich stark freut!? Ich kann nur sagen, dass das Geschlecht
auf jeden Fall noch eine Rolle in der indischen Gesellschaft spielt und die
Probleme wie z.B. die Mitgift immer noch bestehen und auch eine große Hürde für
die Familien darstellen. Dennoch habe ich sehr viele Familien gesehen, die sich
über Mädchen gefreut haben, auch wenn es das Erstgeborene war. Dies ist jedoch
stark von der Kastenzugehörigkeit und der finanziellen Situation der Familie
abhängig. Um dies nur ansatzweise verstehen zu können muss man sich schon sehr intensiv mit der
indischen Kultur und der religiösen Überzeugung der Menschen auseinandersetzen.
Egal wie objektiv man versucht sich mit diesem Thema zu beschäftigen man stößt
doch immer wieder an die eigene moralische Grenze. Egal wie grausam die
eigentliche Konsequenz dieser Selektion ist, man sollte nie vergessen in
welcher verzweifelten Lage sich die Menschen hier befinden und sie selber auch
ein Opfer des eigenen Systems sind. Es ist ein Teufelskreis, der die
Einstellung Menschen prägt. Es ist mit Sicherheit keine Entschuldigung und man
kann es drehen und wenden wie man möchte, aber man muss das Große und Ganze
betrachten.
Dieses Thema ist eine Endlosschleife, deshalb
werde ich es auch dabei belassen.
Zu guter Letzt, möchte ich euch noch über meinen
kleinen Ausflug nach Aurangabad berichten. Nach anfänglichen interkulturellen
Schwierigkeiten zwischen mir und dem Chefarzt und einem klärendem Gespräch,
sind wir doch noch gute Freunde geworden, woraufhin er mir angeboten hat ein
Wochenende mit ihm und seiner Familie in Aurangabad zu verbringen. Da ich in
Indien keinen einzigen Schritt alleine auf die Straße machen durfte, war ich
überglücklich doch noch etwas von diesem Land sehen zu dürfen. Vor allem weil
es in Aurangabad und Umgebung vieles zu besichtigen gibt.
Am interessantesten fand ich es ein paar Tage mit
einer indischen Familie zu leben und die Kultur live mitzuerleben. Eigentlich
kann man sagen, dass die Familienstruktur kastenunabhängig ist. In einer
indischen Familie zieht, nach der Hochzeit, immer die Frau zur Familie des
Ehemannes.Trotz der Tatsache dass die Frau vom Chefarzt selber Ärztin ist, hat
sie täglich einen straffen Zeitplan. Sie steht morgens um 5 Uhr auf, kocht für
die gesamte Familie, danach geht’s für 45 min zum Joggen in den Park und dann
schließlich in die Arbeit. Da die Frau zur Familie des Mannes zieht wohnt auch
hier die Schwiegermutter mit im Haushalt und spielt in der Familienstruktur
eine entscheidende Rolle. Als ich das Ganze ein wenig beobachtet habe, habe ich
mich getraut zu fragen, ob es ihr denn nicht zu stressig sei, aber ihre Antwort
war sehr entspannt: „Jeder Mensch braucht einen geregelten Tagesablauf, der
immer gleich ist. Das ist wichtig für die körperliche und seelische
Gesundheit“.
Auch wenn es für uns so scheint, als hätte die
indische Frau nichts zu sagen und würde nur ihrem Mann gehorchen, ist es in der
Realität etwas anders. Die Inderin sieht es als Lebensaufgabe sich um den Mann
und die männlichen Nachkommen zu kümmern. Indische Frauen sind stark
und selbstbewusst und müssen privat viele Entscheidungen alleine treffen
weshalb sie sich auch nicht so schnell „unterbuttern“ lassen. Der indische Mann
wäre ohne seine Frau absolut aufgeschmissen und definitiv nicht fähig alleine
zu leben. Der ständige Druck von außen prägt den Charakter einer Inderin und
macht sie zu einer starken Persönlichkeit. Aus persönlicher Erfahrung muss ich
sagen, dass es sogar mit den weiblichen Ärzten schwieriger war klarzukommen.
Eine Ärztin muss in der Männerdomäne „Medizin“ schon sehr die Ellenbogen ausfahren
und machte es den Kolleginnen noch schwerer als mancher männliche Kollege.
In Aurangabad selbst, erwartete mich dann ein
straffer Zeitplan. Der Chefarzt und seine Frau wollten mir an einem Wochenende
so viel wie möglich zeigen und mir keine Köstlichkeit der indischen Küche
vorenthalten. Nach den drei Tagen war ich total übermüdet und mehr als
gesättigt J
Die wichtigsten und schönsten Sehnswürdigkeiten
waren die Ellora und Ajanta Caves sowie Bibi Ka Maqbara. Zwischendurch haben
wir noch ein paar kleine Hindu-Tempel besucht. Wir haben täglich ganz früh das
Haus verlassen und sind teilweise um 1 Uhr morgens ins Bett gekommen. Das war
ein sehr interessantes und intensives Touristenprogramm von einer ganz anderen
Seite J
Es war wirklich großartig und ich bin sehr dankbar, dass man mich so herzlich
empfangen hat und ich für einige Tage Teil der Familie sein durfe.
Bibi Ka Maqbara "Little Taj Mahal" - Erbaut vom Sohn des letzten Mogul Aurangazeb für seine Mutter |
Ellora Caves |
Buddha - Ellora Caves |
Beeindruckende Fresken in den Ajanta Caves |
Indische Köstlichkeiten (Vegetarisch und sehr proteinreich) |
Restaurant und Entertainment - Kleiner Kamelausritt |
Die Frau vom Chefarzt und Ich |
Am Montag ging es dann wieder zurück nach
Shevgaon. Dort erreichte mich dann die tolle Nachricht, dass mein Flug
annulliert wurde. Nach vielem Hin und Her habe ich dann letztendlich einen
neuen Flug gebucht und bin vier Tage später als geplant gut in Deutschland
angekommen.
Gemütliches Beisammensein an meinem letzten Abend |
Mein Fazit ist, dass ich definitiv wieder nach
Indien reisen werde. Es war eine sehr aufregende und erlebnisreiche Zeit. Wie
ihr aus meinen Blog-Einträgen entnehmen könnt, musste ich auch einige Hürden
überwinden, von denen ich mich aber nicht habe unterkriegen ließ. In einem
Land mit einer so anderen Kultur macht man eben auch schlechte Erfahrung.
Diese haben mich jedoch geprägt und gestärkt.
Indien ist mit all seinen Gegensätzen und
religiösen Ansichten ein bemerkenswertes Land in dem es viel zu entdecken gibt.
Man muss sich nur auf das Land und die Leute einlassen, dann erhält man auch
die Möglichkeit Erfahrungen zu machen, die man als Tourist nie machen würde. In
beruflichem Umfeld sind die Inder nicht ganz einfach, aber privat sind sie die
gastfreundlichste und herzlichste Nation, die ich kennengelernt habe. Ich
vermisse jetzt schon meine Zeit in Indien und plane auf jeden Fall in naher
Zukunft eine weitere Reise dorthin.
Ich hoffe,
es hat euch Spaß gemacht meinen Blog zu lesen und etwas von meiner Zeit
in Indien zu erfahren. Es ist nicht einfach eine so vielfältige Kultur in Worte
zu fassen, aber ich hoffe ich konnte euch einen kleinen Einblick verschaffen.
Noch kurz ein paar Worte zu unserem Einsatz als
Verein. Das Projekt „Neues Labor“, ist momentan noch in Planung. Wie ich schon
erwähnt habe, wird sich Ingear e.V. finanziell daran beteiligen und wir hoffen,
dass sich schnell noch weitere Sponsoren finden, damit es endlich mit dem Bau
losgehen kann.
Hiermit verabschiede ich mich aus diesem Blog und
bin schon sehr gespannt was meine Nachfolger in Indien so erwartet.
Ganz liebe Grüße,
Iweta
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