25.11.2012



Hallo zusammen,

vor genau einer Woche bin ich nach einer langen und anstrengenden, aber zum Glück unkomplizierten Reise in Indien angekommen. In Aurangabad, etwa zwei Stunden mit dem Auto von Shevgaon, hat mich Kim, eine deutsche Freiwillige, mit dem Fahrer des Krankenhauses abgeholt. Auf der Fahrt zum Krankenhaus konnte ich einen ersten Einblick in die indische Fahrweise bekommen: hupen und Gas geben. Wirkt eher riskant, geht auch, wenn man die Inder fragt, regelmäßig schief. Im Krankenhaus wurde ich von den Ordensschwestern freundlich begrüßt. Das Wohnheim der Ordensschwestern grenzt direkt an das Krankenhaus. Es ist ein helles, offenes Gebäude mit einem schönen Innengarten voll bunter Blumen. Jede Schwester hat hier ihr eigenes Zimmer, zudem gibt es einige Gästezimmer und Gemeinschaftsräume, wie einen Speisesaal und einen Gebetsraum. Ich teile mir ein Zimmer mit Kim, da die Gästezimmer gerade renoviert werden. Die Zimmer sind einfach, aber mit allem wichtigen ausgestattet und relativ geräumig. Wir haben sogar unser eigenes Bad.

Nachdem ich den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht geschlafen hatte, war ich am nächsten Tag zu Dienstbeginn wieder fit und gespannt, was mich erwarten würde. Das Krankenhaus „Nityaseva Hospital“ hat ungefähr 100 Betten. Es besteht aus der Ambulanz, einem Labor, drei Stationen von denen eine privat ist, einer Kinderstation, OP und Kreißsaal. Die Patienten zahlen für eine Nacht 20 Rupies, das sind etwa 30 Cent. Ein Bett auf der Privatstation kostet 100 Rupies. Zudem müssen die Patienten für die meisten Medikamente selbst aufkommen. Wenn eine Familie allerdings gar kein Geld hat, wird man auch umsonst behandelt. Hier arbeiten sowohl Ordens- als auch Krankenschwestern, doch da das Krankenhaus dem Orden zugehörig ist, haben die Ordensschwestern das Sagen.

Die ersten zwei Tage habe ich in der Ambulanz verbracht. Schnell habe ich gemerkt, dass die sprachliche Barriere eine größere Herausforderung darstellen würde, als ich erwartet hatte. Eigentlich sprechen nur die Ordensschwestern Englisch, manche Krankenschwestern und Schwesternschülerinnen können zwar ein paar Bruchstücke, aber für eine richtige Unterhaltung reicht es kaum aus. Die Patienten sprechen meistens gar kein Englisch. Da aber die Abläufe relativ schnell zu verstehen sind, konnte ich zumindest ein wenig mithelfen, wobei es auch nicht viel mehr zu tun gab als Akten zu suchen und Papiere zu stempeln. Viel Zeit verbringt man hier damit, altes Material wieder aufzubereiten. So habe ich zum Beispiel Stunden damit zugebracht, freie Stellen aus alten Patientenakten herauszuschneiden, um sie als Notizzettel wiederverwenden zu können. Bei dieser Arbeit kommt einem dann doch zwangsläufig der Gedanke an die Massen Papier, die man in seinem Leben schon unnötig verbraucht hat.

Dann durfte ich einen Tag im Labor mitarbeiten. Es war interessant zu sehen, mit welchen Methoden und Geräten hier gearbeitet wird, einfache Tests durfte ich auch selbst durchführen. Dabei machte ich Bekanntschaft mit einem Phänomen, das mir seitdem recht häufig begegnet: Die Dinge werden von den  Labortechnikern zwar tadellos ausgeführt, aber sobald man irgendetwas nicht exakt so macht, wie sie es gelernt haben, weisen sie einen sofort zurecht, man solle das so machen, wie sie es einem gezeigt haben. Bei einem Blutgruppentest zum Beispiel hat mir die Laborfachkraft sofort wieder die Arbeit aus der Hand nehmen müssen, da ich das Blut mit dem Antiserum mit der rechten Hand im Uhrzeigersinn gemischt habe und nicht mit der linken Hand gegen den Uhrzeigersinn. Ich habe mehrere Versuche gestartet, ihr zu erklären, dass das doch aufs Gleiche rauskomme, und zu verstehen, warum denn das so wichtig sei. Die einzige Reaktion war ein „This is how I show you, this is how you do.“ Weitermachen durfte ich erst, als sie sich davon überzeugt hatte, dass ich von nun an den Objektträger mit der rechten Hand festhalten werde und das Blut mit dem Antiserum mit der linken Hand gegen den Uhrzeigersinn mischen werde. Wie gesagt passieren mir solche Dinge seitdem immer wieder und ich habe das Gefühl, dass die Leute ihre Arbeit oft zwar als Abfolge von verschiedenen Tätigkeiten perfekt durchführen können, dabei aber eigentlich gar nicht recht verstehen, was warum passiert, und sich deshalb so exakt an irgendwelchen Regeln festhalten, die mir völlig absurd erscheinen. Diskussionen führen nur dazu, dass der oder die andere umso verbissener an seiner Anweisung festhält. Ich beiße mir also auf die Zunge und versuche mir klar zu machen, dass ich an ihrer Stelle vielleicht genauso handeln würde.

Seit Donnerstag arbeite ich im „male ward“, also auf der Männerstation, was allerdings nur ein beliebiger Name zu sein scheint. Letztendlich liegen hier genauso viele Frauen wie Männer. Die ersten zwei Tage hatte ich das Glück mit einer Ordensschwester zu arbeiten, die mir das wichtigste gezeigt hat und so kann ich schon relativ gut mitarbeiten. Der Tagesablauf ist immer der gleiche. Morgens um halb acht ist kurze Übergabe (so kurz, dass ich erst am dritten Tag gemerkt habe, dass es sich um die Übergabe handelt), dann werden Betten gemacht. Betten machen heißt hier tatsächlich nichts anderes, als dass die Laken umgedreht werden. Bestenfalls sind die Laken glatter als davor, was ja aber auch schon eine Verbesserung ist. Dann werden Infusionen und Injektionen verteilt und das nimmt bei 40 Patienten und geschätzten 150 Infusionen und Injektionen pro Rundgang einiges an Zeit in Anspruch. Um halb zehn ist eine halbe Stunde Teatime, dann werden Verbände gemacht. Über Mittag haben fast alle Schwestern lange Pause und schlafen, bevor es nach einer weiteren Teatime nochmal für drei Stunden auf Station geht, vor allem wieder für Infusionen. Was bei uns in Deutschland von Pflegekräften übernommen wird, wie Essen geben, Körperpflege, Hilfe bei den Ausscheidungen, etc. ist hier Aufgabe der Angehörigen. Nicht mal den Transfer von der OP-Liege ins Bett übernehmen die Schwestern, da müssen zur Not eher andere Patienten oder deren Angehörige mitanpacken, was für diese allerdings offensichtlich selbstverständlich ist. Die Schwester steht daneben und guckt, dass jeder alles richtig macht.

Eines der Themen, die mich im Krankenhaus sehr beschäftigen und sicher immer wieder beschäftigen werden, ist der Umgang mit dem Thema Hygiene. Keine Frage, dass man hier begrenztere Ressourcen, andere Umgebungsfaktoren und andere Standards hat, doch vieles, was ich sehe, ist aus meiner Sicht sehr unnötig. Die Infusionssysteme werden durch Nachlässigkeit an allen Ecken und Enden unsteril gemacht (wobei ich zur Verteidigung sagen muss, dass die Systeme mindestens zwei Sollbruchstellen haben), fast alle Kanülen werden mehrfach verwendet, wenn die Schwestern Blut oder Urin ins Bett laufen lassen, ist es Sache des Patienten, alles aufzuwischen. Ich habe gesehen, wie eine Schwester beim Bettenmachen zu faul war, den Katheter umzuhängen und ihn stattdessen diskonnektiert hat, das Bett schwamm in Urin. Eine andere Schwester hat nach der Blutentnahme das überflüssige Blut einfach an die Wand gespritzt. Natürlich sind es nicht alle, die so arbeiten. Es gibt auch sehr viel umsichtigere Schwestern, aber der allgemeine Umgang scheint mir recht rau und grob. Es ist zumindest ein krasser Gegensatz zu Deutschland, wo man eher darauf bedacht ist, die Patienten, die sowieso schon in so einer schwierigen Situation sind,  in allen Bereichen so gut es geht zu unterstützen. Im Idealfall natürlich.

Eine Situation, die mir wirklich sehr nahe ging, war einer der zahlreichen Verbandswechsel. Die Wunden, die ich bisher gesehen habe, kamen vor allem von Schlangenbissen und Verbrennungen. Großflächige Verbrennungen scheinen hier kein Einzelfall zu sein. Ich habe vermehrt von Fällen gehört, wo sich Menschen gegenseitig mit Benzin übergossen und angezündet haben. Die Verbände sollen eigentlich steril erneuert werden, allerdings wird das Material zwischen der Box und dem Patienten an mindestens drei Stellen wieder unsteril gemacht. Ich finde es sehr schwer mitanzusehen, wie sehr die Menschen bei den Verbandswecheln leiden müssen. Gestandene Männer, die sich winselnd auf den Boden werfen, schreien und  weinen vor Schmerzen. Man muss dazu sagen, dass alle Haut- und Fleischfetzen, die sich an der Wunde entfernen lassen, mit Pinzetten weggerissen oder im besten Fall abgeschnitten werden. Eine Schwester hat einen Patienten, dessen beide Arme durch einen Brandunfall beim Kochen komplett offen und blutig sind, an beiden Mittelfingern gepackt und die Arme so lange geschüttelt, bis ich am liebsten mitgeschrien hätte. Es hat mich so wütend gemacht, wie viel Leid dieser Mensch ertragen muss und wie unnötig dieses Leid aus meiner Sicht ist. Grundsätzlich versuche ich, die Dinge nicht zu sehr zu werten, da mir durchaus bewusst ist, dass meine Beobachtungen nur punktuell sind und mir der Kontext fehlt, um diese richtig einordnen zu können. Ich weiß, dass ich den Menschen damit nicht gerecht werde. Außerdem bin ich auch immer wieder erstaunt, wie gut die Dinge im Großen und Ganzen trotz der schwierigen Rahmenbedingungen funktionieren. Ich merke, dass meine Vorstellung von den Dingen hier genauso deplatziert wirken muss, wie eine Krankenschwester, die Blut an die Wand spritzt, in einem deutschen Krankenhaus. Wahrscheinlich brauchen man als Krankenschwester eine gewisse Härte, um unter diesen Umständen arbeiten zu können. Manchmal gelingt es mir ganz gut, die Dinge so zu betrachten, manchmal eher weniger. Aber das liegt wohl in der Natur des Menschen.

Außerhalb der Arbeit bleibt recht wenig Zeit, da alle nur am Sonntag frei haben, doch da Arbeit und Privates hier sowieso eng verknüpft sind und die Arbeit nicht so anstrengend ist, finde ich es kaum störend. Die Ordensschwestern sind sehr bemüht darum, dass es mir gut geht und dass ich Indien von seiner besten Seite kennenlerne. Sie geben mir das Gefühl, hier sehr willkommen zu sein und ich fühle mich wirklich wohl hier. Der Orden kommt mir vor, wie eine eigene kleine Welt, in der alles viel ruhiger und sanfter ist, als außerhalb der Mauern. Da ich genug Zeit haben werde, auch andere Seiten an Indien kennenzulernen, genieße ich die Ruhe im Moment sehr. Ich bin froh, hier zu sein und dankbar dafür, so viel sehen und lernen zu können.   

Das wars von meiner ersten Woche. Bis zu meinem nächsten Eintrag werde ich mich um ein paar schöne Fotos bemühen, damit ihr euch ein Bild von meinen Erzählungen machen könnt.

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