Donnerstag, 7. - Mittwoch, 13.März

Donnerstag, 7. - Mittwoch, 13.März

In der vergangenen Woche ist allerhand passiert. Am Krankenhaus ist immer was los, so waren wir zum Beispiel wieder auf einem Geburtstag eingeladen. Besonders über den Weltfrauentag möchte ich etwas erzählen, denn in der Form wie er hier zelebriert wurde habe ich diesen Tag noch nicht erlebt. Um an den so medienwirksamen Fall der Vergewaltigung in Delhi und an das Schicksal des Opfers zu erinnern haben sich viele Krankenhausangestellte und auch Frauen aus den umliegenden Dörfern im Zentrum Shevgaons versammelt um von dort gemeinsam in einer " silent procession", in einem Schweigemarsch zum Krankenhaus zu laufen. Ich kann die Aufschriften der meisten Plakate nicht lesen, bin also darauf angewiesen dass mir jemand bei der Übersetzung hilft. Vor allem wird für die Rechte von Frauen demonstriert und auf das Problem häuslicher Gewalt aufmerksam gemacht. Während wir durch die Straßen Shevgaons marschieren, frage ich mich, wie viel Aufmerksamkeit mit dieser Aktion tatsächlich erlangt wird, komme aber zu dem Schluss, dass der Umstand, dass die Frauen zusammenkommen und auf diese Weise eine neue Ebene der Auseinandersetzung geschaffen wird, Veranstaltungen wie diese zu einem bedeutsamen Mittel macht, um der Diskriminierung von Frauen entschlossen entgegenzutreten. Auch wenn keine unmittelbaren Veränderungen folgen wird die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf das Thema gerichtet.

Bei der anschließenden Versammlung am Krankenhaus wird besonders das Problem thematisiert, dass aufgrund der Bevorzugung männlichen Nachwuchses viele weibliche Föten abgetrieben werden. Auch in sehr armen Familien wird häufig das knappe Geld in eine Ultraschalluntersuchung investiert, um das Geschlecht des Kindes festzustellen. Ich bin mir bewusst, dass dieser Eindruck keine Statistik ersetzt, aber bei der Arbeit im Krankenhaus bestätigt sich dieses Bild. Die Zahl der Neugeborenen Jungen übersteigt die der Mädchen deutlich. Die Reden werden auf Marathi gehalten, "Mulgi" und "Mulga", die Wörter für "Mädchen" und "Junge" fallen aber besonders oft. In dem fast zweistündigen Programm führen auch die Schülerinnen der Nursingschool wieder ein Schauspiel vor, es folgen viele Danksagungen an besonders engagierte Schwestern und auch an Ärzte des Krankenhauses.

Bevor die Versanstaltung zu Ende ist mache ich mich auf den Weg zum Wohnheim der Schwestern, um mich von Dorothee und Lucia zu verabschieden. Nun bin ich also die einzige Praktikantin.

Am Sonntag habe ich mit einigen Schwestern und Schülerinnen an einer Pilgerwanderung teilgenommen. Dies war in vieler Hinsicht ein bemerkenswertes Erlebnis. Morgens um halb sechs haben wir uns in Shevgaon auf den Weg ins 25 Kilometer entfernte Pathardi gemacht. Mit einigen Taschenlampen ausgerüstet haben wir die erste halbe Stunde in völliger Dunkelheit unterm Sternenhimmel zurückgelegt. Selten hat man so viel Ruhe dafür, die Veränderung von Licht, Himmel und Temperatur so auf sich wirken zu lassen. Ich bin überrascht wie gut wir vorankommen. Nach ungefähr  zweieinhalb Stunden erreichen wir ein kleines Dorf und werden dort zum Frühstück eingeladen. Kurzerhand wird vor einem kleinen Straßenrestaurant ein großer Teppich ausgerollt. Die Gelegenheit, eine kurze Weile sitzend zu verbringen nehmen alle dankbar an. Es dauert einen Moment bis ich verstehe, warum alles für uns vorbereitet ist. Mit dieser Gastfreundlichkeit wird die Arbeit der Schwestern am Nityaseva Krankenhaus gewürdigt. Ein Mann hält eine Ansprache und erwähnt darin, dass auch er im Nityaseva Krankenhaus geboren wurde. Nach der Pause ist es schon ziemlich heiß geworden, umso mehr freuen wir uns über die kalte Zitronenlimonade die wir nach unserer Ankunft in Pathardi genießen. Bald darauf finden wir uns in der Kirche zur Sonntagsmesse ein. Für den Rückweg nach Shevagaon steht ein Jeep bereit. Auch wenn meine Beine den Tag gut überstehen bin ich von der vielen Sonne recht erschöpft und freue mich auf eine lange Mittagspause.

Meine Arbeit im Krankenhaus hat jetzt an Regelmäßigkeit gewonnen. Ein typischer Tag  sieht für mich folgendermaßen aus: Um ca. sechs Uhr werde ich vom Ruf des Muezzin geweckt. Die Moschee ist gar nicht so dicht am Krankenhaus gelegen, über Lautsprecher werden aber alle erreicht. Eine Weile später folgt der Gesang der Schwestern. Für sie beginnt der Tag mit der Morgenmesse. Wenn diese auf englisch stattfindet geselle ich mich auch mit dazu. Nach einem gemeinsamen Frühstück fängt um halb acht der erste Teil meiner Schicht an. Hauptsächlich verbringe ich meine Zeit im "Nursery", da aber auch der "Private Ward", die Privatstation auf dem gleichen Gang ist, helfe ich auch dort mit, wenn es etwas zu tun gibt. Als erstes erledige ich meistens mit einer Schwester einen großen Rundgang, um die Betten zu machen. In der ersten Woche waren nur sehr wenige Babys im Nursery. Jetzt ist wiederum sehr viel los und so werde ich nun auch häufiger mit kleinen Aufgaben betraut. Wenn zum Beispiel  die Kinder zum Stillen den Müttern gegeben werden, wickel ich sie in ein Tuch ein, was die Verwandten, meist die Schwiegermutter mir vorher gegeben haben. Auf diese Weise soll etwas Schmutzwäsche vermieden werden. Gewickelt wird hier mit Stoffwindeln aus alten Bettlaken. Als ich einer Schwester erzähle, dass in deutschen Krankenhäusern fast alles " disposable" ist, also nach Benutzung entsorgt wird kann sie dies kaum glauben. - zurück zu meiner täglichen Routine. Um halb zehn gibt es eine halbstündige Teepause, danach geht wieder auf die Station. Von ein Uhr nachmittags bis um vier ist Mittagspause, um halb acht ist der Arbeitstag zu Ende und man versammelt sich zum Abendessen im Gemeinschaftsraum. Abends habe ich etwas Zeit für mich und bin froh, dass ich ein Zimmer habe, in das ich mich auch mal zurückziehen kann.

In der ersten Zeit ist man manchmal von den vielen neuen Eindrücken überhäuft und beginnt erst mit der Zeit, sich damit auseinanderzusetzten, was nun genau anders läuft als in Deutschland. Da alles als System funktioniert und für die Schwestern selbstverständlich ist - zum Beispiel, dass für die Reinigung der Hände nur ein Stück Seife für die gesamte Station zur Verfügung steht, während in deutschen Krankenhäusern in jedem Zimmer Desinfektionsmittel vorhanden ist, geht von dieser Arbeitsweise eine Normalität aus, die ich so gut es geht versuche anzunehmen. Ich habe noch keine medizinische Ausbildung und so bleibt mir als Vergleich erst einmal das Praktikum auf einer Entbindungstation, welches ich vor kurzem in Deutschland gemacht habe. Ein wesentlicher Unterschied, den ich bisher ausmachen konnte ist, dass die Kinder bestimmter, auf eine Art und Weise grober angefasst werden. Daran muss ich mich manchmal noch gewöhnen.Der "Nursery Ward" ist mir jetzt aber schon einigermaßen vertraut und ich bin gespannt, was auf dieser Station noch auf mich zukommt.

Zweieinhalb Wochen bin in jetzt schon in Indien und die Zeit vergeht recht schnell. Als Fazit über diese erste Zeit- insgesamt werde ich zwei Monate am Nityaseva Hospital sein- kann ich sagen, dass ich mich gut aufgehoben fühle, sei es bei der Arbeit im Krankenhaus oder in der herzlichen Gemeinschaft der Schwestern. Ich freue mich immer wieder über die interessanten Gespräche zwischendurch und bin häufig überrascht, wie aufmerksam und gastfreundlich sie mir gegenüber sind. Hin und wieder gibt es natürlich Verständigungsprobleme und ich muss noch viele Fragen stellen. Umso mehr freut es mich dann, wenn ich mit den wenigen Sätzen Marathi, die ich bis jetzt gelernt habe kleine Unterhaltungen führen kann. Heute hat sich zum Beispiel ein kleines Mädchen dass nach einem Schlangenbiss auf der Intensivstation war, sehr gefreut, dass ich mich erkundigt habe, wie es ihr geht.

Viele Grüße und bis bald!
Rieke

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