02.12.2012
Hallo zusammen,
meine letzte Woche hat bereits
perfekt angefangen. Montag und Dienstag habe ich frei bekommen, um mir zusammen
mit Kim und Charlotte, einer österreichischen Touristin, die auch im Orden
wohnt, die Höhlen von Ellora und Ajanta anzusehen. Früh morgens nahmen wir also
den ersten Bus nach Aurangabad und beinahe wären wir bereits an dieser ersten
Hürde gescheitert. Die Busse halten nur, wenn man sie heranwinkt und die Aufschriften waren leider alle auf
Marathi. Zum Glück hatte der Bus Verspätung und wir haben gerade rechtzeitig
noch jemanden gefunden, der uns in den richtigen Bus gesetzt hat. Die Höhlen
waren wirklich unglaublich beeindruckend! Bei Ellora befindet sich ein Komplex
aus über dreißig Höhlentempeln, die teils buddhistischen, hinduistischen und
jainistischen Ursprungs sind. Das Unglaubliche daran ist, dass man hat sich für
manche Tempel von oben durch den Fels gearbeitet haben muss; wie das genau
funktioniert hat, kann ich mir bis heute nicht vorstellen. Bei Ajanta befinden
sich buddhistische Höhlentempel, teilweise mit wunderschönen Wandmalereien.
Beide Orte gehören zum UNESCO-Weltkulturerbe und haben mich absolut in ihren
Bann gezogen. Abgesehen von der kulturellen Erfahrung hat es total Spaß
gemacht, mal aus dem Wohnheim herauszukommen, und ein wenig indische
Großstadtluft zu schnuppern. Es war genauso wie ich es mir vorgestellt habe:
laut, bunt, turbulent, voller fremder Geräusche und Gerüche. Ein toller
Ausflug, nach dem ich am liebsten gleich weitergezogen wäre, um noch mehr von
Indien zu sehen.
Gesamtanicht der Höhlentempel von Ajanta |
Wandmalerei in Ajanta |
Tempel in Ellora |
Zu Hause geht währenddessen alles
seinen Gang. Nachdem Charlotte weitergereist ist habe ich ihr Zimmer bezogen,
seitdem habe ich mehr Zeit für mich und Fenster zur Straße, die sich weder
richtig öffnen noch richtig schließen lassen. Ich arbeite jetzt einige Tage auf
„female ward“, was tatsächlich eine reine Frauenstation ist und eine riesige
noch dazu. Das Krankenhaus hat einen Schwerpunkt auf Gynäkologie und die
meisten Frauen sind nach der Geburt da. Ihre Babys hängen dann in kleinen
Körben am Fußende. Da diese auch komplett von den Angehörigen versorgt werden,
unterscheidet sich die Arbeit kaum von der auf der anderen Station. Meine
Marathikenntnisse beschränken sich leider immer noch auf das Notwendigste. Ich
frage die Frauen immer vor dem Spritzen, wie sie heißen, um nicht die Falsche
zu erwischen. Aber sobald sie nicht mehr nur mit ihrem Namen antworten oder der
Name ganz anders klingt, als man ihn schreibt, weiß ich schon wieder nicht
weiter. Viele der Patientinnen lassen sich nicht im Geringsten davon abschrecken,
dass ich kein Wort von dem verstehe, was sie mir erzählen. Sie plappern
fröhlich auf mich ein und wenn ich auf Marathi sage „Entschuldigung, ich
spreche leider kein Marathi“ und versuche, meine Worte mit der entsprechenden
Mimik zu unterstreichen, lachen sie sich kaputt und plappern weiter. Eigentlich
ja ganz nett. Eine ältere Frau ist auf Station, die ständig zu mir kommt, mich
anfasst und sich dann bekreuzigt. Manchmal nimmt sie auch meinen Kopf in beide
Hände und murmelt irgendwas und deutet danach auf das Bild der Maria hinter
sich. Was sie genau tut werde ich wahrscheinlich nie herausfinden, aber ich
glaube, es ist nichts Schlimmes.
Am Freitag war ich das erste Mal
im OP, was wirklich eindrücklich war. Während ich in Deutschland mit etwa 15
anderen Zuschauern um einen Blick auf die Patientin kämpfen musste, war ich
hier hautnah dabei. Ich konnte dem Chirurgen praktisch über die Schulter
gucken. Hier wird in zwei Sälen gleichzeitig gearbeitet und die beiden
Anästhesieschwestern haben dafür gesorgt, dass ich immer da war, wo es gerade
mehr zu sehen gab. Es war unheimlich interessant, ich war nacheinander bei
einer Leistenhernie, einem Parotis Adenom, zwei Appendektomien, einer Thyreoidektomie
und einem Kaiserschnitt. Danach hatte ich erst mal genug. Interessanterweise
hatte ich das Gefühl, dass die Leute im OP viel einfühlsamer mit den Patienten
umgehen, als ich es bisher hier erlebt habe. Ich fand es schon beinahe rührend,
wie liebevoll sie sich um die Patienten gekümmert haben. Vielleicht hat die ruppige
Art auf Station ja auch etwas mit Zeitmangel zu tun. Zwar habe ich die
Krankenschwestern noch nie wirklich in Eile gesehen, vermutlich wären sie es
aber, wenn sie sich für die oder den Einzelnen mehr Zeit nehmen würden.
Zwei Schwestern beim Richten des Infusionswagens |
Direkt vom OP wurde ich von zwei
Schwesternschülerinnen zur Mehndi Competition abgeholt. Mehndi ist die
kunstvolle Verzierung der Arme und Hände mit Henna, die die jungen Frauen hier
wie es scheint perfekt beherrschen. In einer dreiviertel Stunde hat mir das
Mädchen den kompletten Unterarm und die Handinnenfläche wunderschön bemalt,
obwohl sie vor Nervosität wie verrückt gezittert hat. Gleichzeitig fand ein
Rangoli Wettbewerb statt, bei dem die Teilnehmerinnen mit buntem Farbpulver
schöne Muster auf dem Boden gezeichnet haben. All das ist eine Vorbereitung auf
das „Hospital Feast“, die Geburtstagsfeier des Krankenhauses nächsten Samstag,
dem alle erwartungsvoll entgegenblicken und von dem ich das nächste Mal mit
Sicherheit berichten werde.
Mehndi Competition |
Heute waren wir – wie fast jeden
Sonntag – auf eine Hochzeit eingeladen. Da schon mein Fernbleiben von der
letzten Hochzeit für Turbulenzen gesorgt hat, war klar dass der Termin für mich
praktisch verpflichtend war. Obwohl wir nur 60km fahren mussten, waren wir über
zwei Stunden unterwegs. Zum Glück gab es auf der Fahrt genug zu sehen. Zur Zeit
wird hier Zuckerrohr geerntet. Die Straßen waren voll von Ochsenkarren,
Traktoren und riesigen Lastwägen, die die meterlangen Halme zu den Fabriken
bringen. Dort stehen sie dann manchmal tagelang vor den Toren, sitzen, essen
und schlafen auf ihrer Ladung und warten darauf, dass diese gewogen und bezahlt
wird. Neben den Fabriken und den großen Feldern sieht man viele kleine
provisorisch wirkende Hütten aus getrockneten Zuckerrohrblättern. Hier leben
die während der Zuckerrohrsaison für einige Monate die Fabrikarbeiter und
Erntehelfer, oft mit ihren ganzen Familien, direkt an der Straße, ohne
fließendem Wasser und natürlich auch ohne sanitären Anlagen. Da die Kinder
dieser Saisonarbeiter natürlich kaum Möglichkeiten haben, zur Schule zu gehen, ist
wohl in der Diskussion, Schulen bei den Fabriken zu bauen. Die Hochzeit selbst
war eher unspektakulär. Eine Stunde katholische Messe auf Marathi (und das,
obwohl ich heute morgen auch schon eine Stunde in der Kirche war), Mittagessen,
ein eher halbherziges „Thank you for coming, sister“ und dann saßen wir auch
schon wieder im Auto. Wer weiß, vielleicht hat der ausgelassene Teil der Feier ja
gerade begonnen, als wir weg waren. Ich werde während meines Aufenthaltes im
Orden sicher noch mehr Hochzeiten besuchen, nur hoffentlich keine mehr, für die
man vier Stunden fahren muss.
Nach wie vor geschehen hier viele
Dinge, die ich nicht verstehen kann. Als wir spät abends von Aurangabad
zurückgekommen sind, hat der Pförtner gerade Oberschwester angerufen, um unsere
Rückkehr zu melden, als ein „Poison case“ angeliefert wurde. Eine junge Frau,
die versucht hatte, sich mit Pestiziden das Leben zu nehmen. Erst auf das
Drängen der Angehörigen hat der Pförtner eher widerwillig das Tor geöffnet,
dass die Frau, die sich nur noch mit Mühe auf den Beinen gehalten hat,
hereinkommen konnte. Die Schwestern aus der Notaufnahme sind in aller Ruhe
mehrmals an ihr vorbeigelaufen, ohne überhaupt sichtlich Notiz von ihr zu
nehmen. Wir sind dann ins Wohnheim gegangen, aber diese Szene hat mich nicht
losgelassen. Andererseits erlebe ich auch sehr positive Überraschungen. An
meinem letzten Tag auf „male ward“ hat der Krankenpfleger auf einmal Handschuhe
zur Abendrunde gebracht. Ich trage beim Spritzen konsequent Handschuhe, hatte
aber bisher eher das Gefühl, dafür belächelt zu werden. Zwar sollten die
Krankenschwestern hier auch offiziell nur mit Handschuhen arbeiten, sobald die
Gefahr besteht, mit Blut in Kontakt zu kommen. Allerdings habe ich noch nie
jemanden gesehen, der – außer zum Putzen und Bettenmachen – tatsächlich welche
trägt. An diesem Abend haben alle zum Injektionen verteilen Handschuhe
getragen. Vermutlich war das auch das letzte Mal, aber trotzdem fand ich es
wirklich eine nette Geste, die mir gezeigt hat, dass sie manche Dinge doch
ernster nehmen, als es scheint.
Soviel von meiner letzten Woche,
ich wünsche euch allen eine schöne beginnende Adventszeit und berichte nächsten
Sonntag wieder!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen