09.12.2012
Hallo zusammen,
in der letzten Woche war es im
Krankenhaus ungewohnt ruhig. Es war sogar so wenig los, dass fast alle
Stationen einen Großputz veranstaltet haben. Da man sich doch sehr schwer getan
hat, mit Putzarbeiten zuzumuten und mir alles, was ich angefangen habe, ganz schnell
wieder aus der Hand genommen wurde, habe ich einen Großteil meiner Zeit damit
verbracht, anderen beim Putzen zuzusehen. Dabei ist mir mal wieder aufgefallen,
wie schwer es für mich ist, Menschen bei dem zuzusehen, was wir gemeinhin als
ineffizientes Arbeiten bezeichnen. Während meinem Freiwilligendienst in
Nicaragua habe ich gelernt, diese Vorgehensweise nicht als ineffizient sondern
als prozessorientiert zu betrachten. Oder zumindest als solche zu bezeichnen.
Sonst würde es ich wohl gelassener nehmen. Außer mir scheint sich hier auch
keiner daran zu stören, alles doppelt und dreifach machen zu müssen und
eigentlich haben wir auch mehr als genug Zeit und Personal zur Verfügung. In
diesen Wochen sind die Schwesternschülerinnen der angrenzenden „Nursing school“
auf den Stationen, die meistens mit irgendwelchen Aufräum-und
Verschönerungsarbeiten beauftragt werden, aber selbst davon gibt es nicht genug
für so viele Leute. Dann beschäftigen sie sich am liebsten mit mir; untersuchen
aufs genauste meine Ohren, Nase, Augen und Hände, versuchen, bisher leider
recht erfolglos, mir Lieder auf Marathi beizubringen und lassen mich ein ums
andere Mal die Namen sämtlicher Verwandter aus Deutschland herunterbeten – von
meinen Eltern bis zu meinen Großcousinen.
Zwei Tage habe ich auch auf „private
ward“ verbracht, der Privatstation, an die auch die Neugeborenenstation
angeschlossen ist. Die Patienten zahlen für ein Doppelzimmer 250 Rupies (etwa
vier Euro), für ein Einzelzimmer das Doppelte. Zum Vergleich: ein Bett auf
Normalstation kostet 30 Rupien am Tag (etwa 50 Cent). [Die Angaben aus meinem zweiten
Blogeintrag sind falsch; dort habe ich geschrieben, ein Bett auf Privatstation
würde 100 Rupien kosten.] Allgemein scheint es hier viel ruhiger und
freundlicher zuzugehen, als auf den anderen Stationen. Es wird an die Tür
geklopft, man erkundigt sich von selbst nach dem Befinden der Patienten,
wechselt regelmäßig die Bettlaken und hält auch sonst die Zimmer einigermaßen
sauber. Kein Urin in den Betten, kein Blut an den Wänden. Aber immerhin zahlen
die Leute auch mehr, als viele Arbeiter an einem Tag überhaupt verdienen.
Morgens habe ich in der „Nursery“, der Neugeborenenstation, geholfen, die Babys
zu versorgen. Hier liegen fast nur Frühchen, die meisten ab dem siebten Monat.
Wie viele von ihnen es tatsächlich schaffen, weiß ich nicht. Etwa zehn Babys
liegen in einem Raum, der von einem Heizstrahler gewärmt wird. Meistens sind
sie alleine, manchmal wird eine Schülerin dort abgestellt, die jedem Baby, das
anfängt zu schreien, fleißig Glukose in den Mund träufelt. Nur Krankenschwestern
dürfen den Raum betreten und auch die nur barfuß und mit Mundschutz. Da es in
Indien vermehrt Fälle gab, in denen Kinder geklaut und an reiche kinderlose
Paare verkauft wurden, muss die Nursery immer abgeschlossen sein. Auch hier
scheint vieles etwas unkoordiniert abzulaufen, was bei erwachsenen Patienten
vielleicht eher zu vernachlässigen ist, mir bei Frühchen aber nicht ganz
geheuer ist. Ständig wird verwechselt, welches Baby welche Muttermilch bekommt
bzw. welche Art von Nahrung überhaupt, der Sauerstoff wird nach Gefühl von den
Schwestern hoch oder runtergedreht, ohne dass die Sättigung gemessen wird oder
konkrete Anordnungen vorliegen und der Inkubator wird meistens einfach als
weiteres Babybett verwendet, da keiner so recht zu verstehen scheint, wie das
Ding funktioniert. Jeden Morgen werden die ganz Kleinen eingeölt und die etwas
schwereren Kinder von ihren Müttern im Stationszimmer abgegeben, von einer
Schwester mit Wasser übergossen, von der nächsten abgetrocknet und dann wieder
der Mutter übergeben, die es zurück in die Nursery bringt. So werden fünf Babys
in zehn Minuten gebadet und gewickelt. Nachdem ich mein erstes Baby eingeölt
und in frische Tücher gewickelt hatte, wollte ich es nach allen Regeln der Kinästhetik
über die Seite hochnehmen um es wieder ins Bett zu legen. Etwas ungläubig über
meine Tollpatschigkeit lachend kam eine Krankenschwester zu mir, und zeigte
mir, wie man das machte: Man zieht das Baby an den Beinen so weit hoch, dass
nur noch der Kopf die Ablagefläche berührt und der Körper fast im 90° Winkel zu
ihr steht, schiebt dann die Hand unter den Kopf und befördert das kleine Bündel
mit Schwung in Bettchen. Ich konnte mir das Gesicht jeder einzelnen
Kinderkrankenschwester, die ich im Laufe meiner Ausbildung kennengelernt habe,
lebhaft bei diesem Anblick vorstellen. Andererseits muss man natürlich dazu
sagen, dass auch wir als Neugeborene wahrscheinlich nie in den Genuss des
kinästhetischen Wickelns gekommen sind und auch keine Schäden davongetragen
haben. Trotzdem sah mir das etwas sehr abenteuerlich aus.
Mein erster kleiner Schützling und ich |
Gestern war das langersehnte
Hospital Feast, der 38. Geburtstag des Nityaseva Hospitals, das in seinen
Anfängen lediglich von einem Arzt und zwei Krankenschwestern betreut wurde.
Wenn man sich das vor Augen führt, ist es wirklich beeindruckend, wie groß und
spezialisiert das Krankenhaus heute ist. Die Ordensschwestern, von denen einige
schon seit vielen Jahren im Krankenhaus arbeiten und sich mit viel Engagement
für dessen Erweiterung einsetzen, sind zu Recht stolz auf ihr Werk und begehen
diesen Tag daher sehr feierlich. Bereits nach dem Frühstück begannen die Vorbereitungen:
kiloweise Gemüse mussten geschält und geschnitten werden, hunderte von Tellern
gespült und badewannengroße Töpfe voll Reis und Hühnchencurry gekocht werden.
Zwei Küchenhelferinnen beim Rollen der Chiapati |
Ein Topf Reis... |
Schülerinnen beim Spülen der Teller |
Um elf war dann die Messe. Die Kirche war prachtvoll hergerichtet und
geschmückt, der Boden war mit weißen Ornamenten bemalt, überall hingen bunte
Girlanden, glitzerndes Lametta und Blumen. Die Pfarrer kamen in ihren festlichsten
Gewändern und auch die Besucher hatten ihre besten Saris angezogen. Leider ging
die Messe dann auch zwei Stunden, was in Anbetracht der Tatsache, dass ich kein
Wort verstanden habe, eher anstrengend war. Meine einzige Erkenntnis war, dass
man hier Menschen, um ihnen eine Ehre zu erweisen, mit einer Kokosnuss
beschenkt. Später haben mir die Schwestern erklärt, dass auch neue Fahrzeuge
eingeweiht werden, indem man eine Kokosnuss an ihnen aufschlägt und die Milch
über das Fahrzeug fließen lässt. Die Kokosmilch steht für Reinheit und soll
Glück bringen. Wie man das macht ohne das Fahrzeug dabei nachhaltig zu
beschädigen kann ich mir schwer vorstellen. Nach der Messe waren alle
Angestellten des Krankenhauses mit ihren Familien zum Essen eingeladen. Es war
ein riesiges Chaos, bis jeder der mehreren hundert Gäste etwas zu essen hatte, aber
als das geschafft war genauso schnell wieder vorbei, wie es angefangen hatte.
Mittagessen für alle Angestellten |
Abends
war dann Programm auf einer kleinen Bühne, die am Krankenhaus aufgebaut wurde.
Traditionelle und moderne Tänze wurden aufgeführt, Sketche und kleine
Theaterstücke gezeigt und Reden gehalten. Alles natürlich auf Marathi, aber durch
die Tänze und die Schauspielkunst der Auftretenden ganz unterhaltsam. Außerdem
war es interessant zu sehen, wie sehr alle Feuer und Flamme dafür waren, auf
der Bühne zu stehen. Anders als bei uns, wo man sich lieber davor drückt oder
zumindest angemessen ziert, will hier von den Kleinsten bis zu den Erwachsenen
jeder seinen Teil zum Programm beitragen.
Heute waren wir wieder bei einer
Hochzeit eingeladen. Leider kamen wir viel zu spät, alle waren schon am Essen
oder bereits fertig. Als ich gefragt habe, ob die Messe schon vorbei sei,
antworteten die Schwestern eher ausweichend. Irgendwann sagte eine leise zu mir
„Hindu wedding“. Wahrscheinlich waren wir deshalb zu spät dran. Wir haben auch
nur gratuliert und sind wieder gegangen, ohne zu essen oder uns mit
irgendjemandem zu unterhalten. Wie schon so oft hatte ich das Gefühl, dass die
Gastgeber uns gegenüber mit der Einladung genauso lediglich eine
gesellschaftliche Verpflichtung erfüllen wie wir mit unserem Erscheinen. Aber
dass jeder auch völlig zufrieden damit ist und von niemandem mehr als das
erwartet wird. Da ich gerne eine hinduistische Hochzeit gesehen hätte, fand ich
das sehr schade. Aber es würde mich doch sehr wundern, wenn wir nächsten
Sonntag nicht auf eine Hochzeit eingeladen wären und vielleicht habe ich dann
ja mehr Glück.
Brautpaar einer hinduistischen Hochzeit |
Ich wünsche euch einen schönen
zweiten Advent und werde nächsten Sonntag wieder von hier berichten!
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